Komplexität managen
Systemische Analyse und konzeptionelle Neugestaltung des Büroarbeitsplatzes.
Systemische Analyse und konzeptionelle Neugestaltung des Büroarbeitsplatzes: Die moderne Systemtheorie, ein relativ junges Wissenschaftsgebiet, hat in vielen technischen und wissenschaftlichen Bereichen Fuß gefasst und bietet einen universellen und ganzheitlichen Denkansatz. Unsere Masterthesis untersucht die Anwendung systemtheoretischer Prinzipien in der Produktgestaltung und präsentiert einen methodischen Gestaltungsansatz.
Die Auseinandersetzung mit der Systemtheorie hat mein Denken in Bezug auf universelle und ganzheitliche Zusammenhänge erheblich erweitert. Es reicht nicht aus, Dinge isoliert zu betrachten, da sie stets in Wechselwirkung zueinanderstehen. Darüber hinaus dient die Systemtheorie als effektives Abstraktionswerkzeug, das auf verschiedenen Ebenen anwendbar ist. Grundlegende Prinzipien können von einem Bereich in einen anderen übertragen und entsprechend angepasst werden. Die Systemtheorie basiert auf der Annahme, dass sich die Grundstrukturen und Prozesse unterschiedlicher Systeme prinzipiell ähneln und somit universell anwendbar sind.
Der Schwerpunkt der Masterthesis liegt in der Entwicklung einer neuen Designmethode auf Basis der allgemeinen Systemtheorie. Als Anwendungsbeispiel dient der Büroarbeitsplatz. Ziel ist es, die Betriebsmittel des Büroarbeitssystems systemisch zu analysieren und darauf aufbauend eine konzeptionelle Neugestaltung zu entwickeln, die eine vereinfachte Entscheidungsumwelt schafft. Diese Neugestaltung soll zu erhöhter Produktivität, Konzentration sowie einer effizienteren Nutzung von Zeit und Raum führen. Unter einer vereinfachten Entscheidungsumwelt verstehen wir zum einen die Reduktion unnötiger Entscheidungen und zum anderen die Eliminierung überflüssiger Handlungsabläufe.
Zunächst wird in der Thesis eine umfassende Recherche zu relevanten Aspekten des Büroarbeitsplatzes durchgeführt. Im darauffolgenden Abschnitt wird eingehend auf die Systemtheorie eingegangen, einschließlich:
Komplexität und Systemstruktur
Definition und Mechanismen der Komplexität
Modulare und integrale Systemarchitektur
Unterschiede zwischen komplexen und komplizierten Systemen
Perspektiven auf Komplexität
Überlagerungen der Beziehungsdimensionen
Multifunktionalität und Systemhierarchie
Auf Basis der Erkenntnisse aus der Systemtheorie wird das Büroarbeitssystem in seine Bestandteile zerlegt. Diese Analyse ergibt eine Vielzahl von Teilkomponenten. Um eine willkürliche Neugestaltung zu vermeiden, widmet sich das Kapitel „Komplexität managen“ einer strukturierten Neugestaltung des Gesamtsystems. Dabei werden folgende Themen behandelt:
Definition von Einfachheit
Prinzipien und Strategien der Einfachheit nach Brügger: Restrukturieren, Weglassen, Ergänzen, Ersetzen und Wahrnehmen
Modulare und integrale Produktentwicklung
Im abschließenden Kapitel wird auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein hochintegriertes und dennoch modulares Büroarbeitssystem neu gestaltet.
Auszüge aus der Masterarbeit:
3.1.1 Definition und Mechanismen der Komplexität
Der Begriff der Komplexität wird im Alltag oft mit kompliziert gleichgesetzt und meint die Schwierigkeit eines Problems oder eines Hindernisses. Diese Sichtweise bezieht sich jedoch auf die kognitive Wahrnehmung der Person und schildert vielmehr die Wirkung und Folge von Komplexität auf das Individuum (vgl. Pruckner 2005, S.21). Das Verständnis von Komplexität ist ohne Beobachter nicht möglich.
Aufbau
Ein System ist eine strukturierte Familie (vgl. Addor 2010, S.29) aus verschiedenen Elementen, deren Anzahl, Eigenschaften, Verhaltensweisen und Reaktionsmöglichkeiten die Komplexität darstellt (vgl. Pruckner 2005, S.21).
Funktion/Eigenschaft
Die Elemente eines Systems vernetzen sich zu erwünschten Zuständen (vgl. Pruckner 2005, S.21), also zu einem bestimmten Anordnungsmuster unter vielen Möglichkeiten, um eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Diese Ausrichtung auf die Funktion wird Systemorientierung genannt.
“Die Anzahl möglicher Unterschiede, Nuancen, Abstufungen bzw. Varianten, die ein System“ (Pruckner 2005, S.21) generieren kann, wird als Varietät (Maß der Komplexität) bezeichnet. Nur sinnvolle Variationen kommen in Betracht, nicht die unendlichen Kombinationsmöglichkeiten aller Elemente (vgl. Pruckner 2005, S.21).
Schon durch Erhöhung der Anzahl der Teilelemente im System kann der Komplexitätsgrad erhöht werden. Jedoch sind es die wechselseitigen Relationen der Teilelemente, die ein wichtiges Kriterium bei der Betrachtung der Komplexität darstellen. Abbildung 29 [Anmerkung: siehe untere Abbildung] zeigt uns, dass die Kombinationsmöglichkeiten exponentiell mit jedem weiteren Element ansteigen: Während es 1024 Möglichkeiten bei fünf Elementen sind, entstehen bereits mit sechs Elementen auf 32768 Variationen (vgl. Göpfert 2009, S. 45).
Veränderung
Ein Impuls für eine Veränderung des Systems kann aus ihm selber und/oder von außen kommen.
Durch die Vernetzung entsteht eine Eigendynamik unter den Teilelementen. Es werden neue Eigenschaften hervorgebracht, die anders sind als bei isoliert betrachteten Elementen (vgl. Ahlemeyer u.a. 1998, S.10).
Symbiose
Zwei getrennte Systeme können eine strukturelle Kopplung (Symbiose) eingehen und ein neues übergeordnetes System mit völlig neuen Eigenschaften hervorbringen (vgl. Vester 2002, S. 15ff ).
Punktueller Eingriff
Das Eingreifen in das Wirkungsgefüge verursacht Folgen auf den Gesamtcharakter eines Systems und kann erhebliche Eigenschaftsveränderungen hervorrufen. Die punktuelle Beseitigung eines Problems in einem komplexen System ruft ein anderes Problem an einem anderen Ort hervor. Da ein isoliertes Teilelement sich anders verhält, wie im Gesamtkontext, werden erst durch das ganzheitliche Denken unsichtbare Zusammenhänge und Verknüpfungen der Elemente im System aufgedeckt (vgl. Vester 2002, S.16).
Entropie
Ähnlich wie in der Thermodynamik wird der Begriff Entropie für das Maß der Unordnung auch in der allgemeinen Systemtheorie verwendet. Komplexe Systeme nehmen fortwährend Input in Form von Material, Information und Energie auf und trans- formieren diese. Während dieses Stoffwandels entstehen Abfallprodukte (Entropie), die unbedingt aus der Systemgrenze in die Umwelt abgeleitet werden müssen, “sonst erstickt das System” (Addor 2010, S.96). Erst durch diese notwendige Entledigung der Abfallprodukte ist das System in der Lage seine Komplexitätshöhe “zu erhalten oder sogar zu erhöhen” (Addor 2010, S.96).
Entgegen der allgemeinen Meinung ist es nicht möglich Komplexität auszulagern - im Gegensatz zur Entropie. “Unüberschaubarkeit, Dynamik, Vernetztheit und Intransparenz in Projekten nennt man besser “Entropie” anstatt Komplexität” (Addor 2010, S.96).
Vorgelegt von:
Ema Orman und Fatih Aydemir zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts.
Betreut von:
Prof. Dr. Susanne Schade
Prof. Hartmut Bohnacker
Hochschule für Gestaltung
Schwäbisch Gmünd University of Applied Sciences
Product Planning and Design || Master of Arts
Abschlussarbeit Wintersemester 2011/12
www.hfg-gmuend.de